Der lange Weg zum Naturwald: Ein bündnisgrünes Diskussionspapier zum Berliner Waldumbau 6. Januar 20238. Juli 2024 Dr. Hartwig Berger, Sprecher der LAG Umwelt und KlimaJulia Schneider, MdA und waldpolitische Sprecherin der Fraktion B’90/Die Grünen Zur Ausgangslage Die Wälder Berlins haben als Naturraum einen unschätzbaren Wert für unsere Stadt. Die 28.500 Hektar Wald, die Berlin innerhalb (16.000 ha) wie außerhalb (12.500 ha) der Stadtgrenzen besitzt und bewirtschaftet, tragen ganz wesentlich dazu bei, dass Berlin den Ruf einer bemerkenswert grünen Metropole genießt. Es gilt, die Wälder Berlins uneingeschränkt zu schützen und zu bewahren, denn: Sie tragen mit der Photosynthese der Bäume wesentlich zum Klimaschutz bei. Sie sind auch, von der Staubfilterung bis zur Verdunstungskühlung, ein wichtiger Faktor, um das regionale Klima in der gesamten Stadt erträglicher zu gestalten. Die Berliner Wälder speichern mit ihren Bäumen und dem Boden 11 Mio. Tonnen an CO2 und entziehen der Atmosphäre jedes Jahr 335.000 Tonnen dieses Treibhausgases1. Unser Wald ist damit die größte und wichtigste Kohlenstoffsenke Berlins. Der Wald ist ebenfalls, verstärkt durch das Mischwaldprogramm der letzten Jahrzehnte, der größte und damit wohl wichtigste Raum in Berlin für eine vielfältige Lebenswelt von Tieren und Pflanzen, er schützt mit den stark gefährdeten letzten Waldmooren schwindende Hotspots der Biodiversität. An den Gewässerufern der Wälder liegen die Brunnen, aus denen sich die gesamte Stadt mit Trinkwasser versorgt. Nicht zuletzt dient der Wald als Erholungs- und Erlebnisraum von Berliner*innen, die ihn in den letzten Jahren immer häufiger erwandern. Die Berliner Forsten praktizieren seit den 90er Jahren, mit Vorläufern im West-Berlin der 80er Jahre, die schrittweise Umgestaltung zu einem naturnäheren Mischwald. Er ist seit 2002 durch das gemeinsame Siegel des Forest Stewartship Council (FSC) und Naturland zertifiziert und wird in diesem Zusammenhang regelmäßig überprüft. Mit dem Mischwaldprogramm haben sich in vielen Teilen des Waldes seine Naturqualitäten sichtbar gebessert. Mit dem 2012 eingerichteten Haushaltstitel wurden bis 2020 1900 ha zuvor monokulturelle Kiefernplantagen mit drei Millionen Laubbäumen durchmischt, vorwiegend mit Eichen, Rotbuchen, Hainbuchen und Winterlinden. Denn weiterhin sind die Wälder Berlins in ihrer Qualität und in ihrem Bestand hoch gefährdet. Hauptgefahr ist die Wirkung der sich immer mehr anbahnenden Klimakrise, die sich mit Extremhitze im Sommer, zu milden Wintern, Schneemangel und chronischer Trockenheit seit nunmehr fünf Jahren in unserer Region manifestiert. Die Waldböden leiden unter Dürre, selbst tiefliegende Baumwurzeln finden nicht ausreichend Zugang zu Wasser. Die Bäume werden anfälliger für Schädlinge, wie den Befall durch Borkenkäfer, Pilze und Mistel. Hinzukommt die Dauerbelastung durch überhöhte Emissionen von Vorläufersubstanzen der Ozonbildung vor allem aus dem motorisierten Autoverkehr sowie die Stickstoff-Emissionen aus der konventionellen Landwirtschaft im regionalen Umkreis. Der Stickstoff beeinflusst die natürlichen Stoffkreisläufe und führt zum Verlust an wichtigen Nährstoffen aus dem Boden. Der Waldboden versauert. Die betroffenen Pflanzen zeigen Mangelerscheinungen oder vermindertes Wachstum. Auch das Bodenleben verarmt.2 Das Ozon schwächt die Photosynthese und damit die Bäume insgesamt. Unsere Vorschläge Für den weiteren Weg Berlins hin zu einer naturnahen Waldbewirtschaftung stellen wir folgende Gedanken und Vorschläge zur Diskussion: Das Berliner Waldumbauprogramm bedarf der Weiterentwicklung. Grundlagen wie Ziele der waldbaulichen Strategien sollten auf den Prüfstand gestellt werden. Hier sind nicht ausschließlich Fachkenntnis und Kompetenz der Berliner Forsten gefragt, die bundesweit mit Fachkolleg*innen und der Forstwissenschaft im Austausch stehen, ebenso wie mit der Hochschule Eberswalde. Gefragt ist auch die Zivilgesellschaft Berlins, denn der Wald in seinen vielfältigen Funktionen geht uns alle an. Wir plädieren daher für einen breit angelegten Diskurs zur Zukunft der Berliner Wälder. Ein mögliches Forum dafür könnte eine Aufwertung und Erweiterung des bestehenden Formats „Runder Tisch Wald“ sein, den die Berliner Forsten vor zwei Jahrzehnten mit den Naturschutzverbänden eingerichtet haben. Die Umgestaltung der Berliner Wälder zu stabilen Mischwäldern sollte entschieden beschleunigt werden, gestützt durch mehr öffentliche Mittel und eine Aufstockung des qualifizierten Forstpersonals. Das dient nicht nur einer höheren Klimaresilienz, einem besseren Schutz vor Waldbränden und Schädlingen sowie der Förderung biologischer Vielfalt. Da der Wasserbedarf der Laubbäume geringer ist als der von Nadelbäumen, dient ihre weitere Entwicklung auch dem Trinkwasserschutz, von dem die Lebensfähigkeit Berlins als Stadt wesentlich abhängt. Unter klimaresilientem Waldumbau verstehen wir auch die Waldbrandprävention. Es sollte abgewogen werden, ob der Wald nach dem Raumordnungsprinzip naturnah und gleichzeitig feuerresilient gestaltet werden kann. Vitale Kiefernreinbestände können dabei kurzfristig als Waldbrandriegel erhalten und umgestaltet werden. Aus der Erfahrung mit derzeit bereits laufender Waldweide soll diese gezielt zur Reduzierung der Brandlast und damit zur Prävention von Waldbränden auf ausgesuchten Waldbrandriegeln erweitert werden. Aus der Umgestaltung ergibt sich, dass hoch verdichtete Kiefernbestände weiterhin durch gezielten Holzeinschlag gelichtet werden müssen. Zusätzliche Holzeinschläge sollten darauf zielen, nur selektiv starke Bäume zu entnehmen. In der Summe sollte der Holzvorrat im Wald weiter zunehmen. Holzeinschlag und Holztransport sollte überwiegend durch ausgebildetes eigenes Personal durchgeführt werden. Bei Außenvergabe sollten zertifizierte, nach Möglichkeit regionale Unternehmen beauftragt werden. Der Anteil des Holzeinschlags, der als Bauholz, also karbonspeichernd, verwendet wird, soll deutlich erhöht, der Anteil an klimaschädlicher3 Holzverbrennung deutlich reduziert, möglichst auf Null gesetzt werden. Die Versteigerung von Holz soll nach Kriterien der Nachhaltigkeit in einem festgelegten Umkreis erfolgen, um die regionale Nutzung zu fördern. Es ist ein bewusster und sparsamer Umgang mit der knappen Ressource Holz geboten. Beim Holzeinschlag soll der Wald geschont und so wenig wie möglich beeinträchtigt werden. Dazu gehört der Einsatz von Rückepferden4, die Nutzung leichterer Maschinen mit entsprechender Bereifung und die Verwendung von Seilwinden. Ziel sollte auf mittlere Sicht der gänzliche Verzicht auf Harvester sein. Bis dahin sollte deren Einsatz stärker begrenzt und die Abstände zwischen den Rückegassen weiter vergrößert werden. Ein beschleunigter Waldumbau kann durch die Verfügbarkeit von einzubringenden Baumpflanzen begrenzt sein. Daher sollte Berlin, ggf. gemeinsam mit Brandenburg, die Einrichtung einer Waldbaumschule ins Auge fassen. Als möglicher Standort wäre das Gelände der Berliner Stadtgüter zu prüfen. Der Wald als Wasserspeicher: Abflussgräben, soweit noch vorhanden, sind zu beseitigen, Durchwegungen so zu „neutralisieren“, dass sie kein Wasser ableiten. Angesichts der anhaltenden Dürre kann die aus Waldgebieten erfolgende Trinkwasserversorgung für die Widerstandsfähigkeit der Wälder zunehmend zum Problem werden. Zwar beziehen die Berliner Trinkwasserbrunnen zu etwa 2/3 ihr Wasser per Uferfiltrat aus Havel, Spree und dort anliegenden Seen. Der Rest wird jedoch dem Landinneren und damit prinzipiell dem Wald entzogen. Es ist daher wichtig, dass zum einen die Trinkwassergewinnung an der Vulnerabilität der Förderzonen ausgerichtet wird; und zum anderen Berlin ernsthaft Maßnahmen zur Begrenzung des urbanen Wasserverbrauchs trifft – damit auch zum Schutz der Wälder und der dortigen Feuchtgebiete. Um den Berliner Wald gegen weitere Schwächung und Schädigungen zu schützen, müssen wir uns für eine Reduktion des Einsatzes von Verbrennungsmotoren und weniger Einsatz stickstoffhaltigen Düngers in der Landwirtschaft der Region einsetzen. Als kleinen Schritt im Klimaschutz, zur Förderung biologischer Vielfalt und zur Verbesserung der urbanen Lebensqualität schlagen wir die gezielte Ausweitung der Waldflächen in Berlin und in den gemeinsamen Regionalparks mit Brandenburg vor. Hier bietet sich die Einrichtung von Miniwäldern im urbanen Bereich an, gepflanzt mit einheimischen Bäumen und Sträuchern. Auch kann Berliner Forsten helfen, Teile der Berliner Stadtgüter im Sinne der Agroforesterie (Wald-Landwirtschaft) umzugestalten. Wald kennt keine Grenzen, und so sind hier die Landesgrenzen zwischen Brandenburg und Berlin fließend. Berlin bewirtschaftet Waldflächen in Brandenburg und hat darüber hinaus mit Brandenburg acht gemeinsame Regionalparks ausgewiesen, die weitere Waldflächen einschließen. Wir plädieren daher für eine enge Zusammenarbeit zwischen beiden Bundesländern und ihrer Forstbehörden im gemeinsamen Waldumbau. Die gerade in Brandenburg noch stark vertretenen Kiefernplantagen und monokulturellen Stangenforste machen Handlungsbedarf sehr deutlich, bevor er sich mit einem breitflächigen Waldsterben in der Klimakrise und nicht mehr beherrschbaren Großbränden von selbst zu erledigen droht. Die Forsten müssen personell als auch in der Infrastruktur ihren Aufgaben entsprechend ausgestattet werden. Es ist nicht vermittelbar, dass die Forsten bis heute nicht an das Landesnetz angeschlossen sind, genauso wenig, dass die Förster ihrer Residenzpflicht nicht gerecht werden können, da ihnen keine Dienstwohnungen zur Verfügung gestellt, bzw. vorhandene Liegenschaften der Forsten nicht ertüchtigt werden. Last but not least: Die Berliner Forsten haben innerhalb Berlins den Status einer nachgeordneten Behörde, untergeordnet einem Fachreferat innerhalb einer Senatsverwaltung. Wäre es nicht besser, diese für die Lebensqualität Berlins so wichtige Korporation zu einem Eigenbetrieb auf Landesebene aufzuwerten, so wie vieler Forstämter in Deutschland? 1 „Der Beitrag der Berliner Wälder zum Klimaschutz Berlins“ (Thünen-Institut für Waldökosysteme, 2017) 2 https://www.bafu.admin.ch 3 Da der geschlagene Baum quasi eine Kohlenstoffsenke ist, dessen Umfang durch Ersatzpflanzung erst in Jahrzehnten wieder erreicht wird. Wir müssen aber Klimavorsorge hier und jetzt betreiben! 4 Vorwiegend auf Rückepferde zu setzen, ist allerdings illusionär. Zum einen ist der Bestand dieser, eigens zu qualifizierenden, Kaltblüter auf dem „Forstwirtschaftsmarkt“ sehr begrenzt; zum anderen können Kaltblüter nur Stämme mit einem begrenzten Gewicht transportieren. Ideal ist der Rückepferd-Einsatz in der Beseitigung der spätblühenden Traubenkirche, deren Entfernung eine Voraussetzung für Naturverjüngung wie eine Bepflanzung mit Laubbäumen ist. Foto: Aleksandra Kwasnik